Sicherlich sind es nur die Techniken des Verteidigers, die Aikido sind, aber die Rolle des Angreifers kann man dabei nicht vernachlässigen. Ebensowenig sind die Art und Qualität des Angriffs bedeutungslos. Aikido beinhaltet keine Angriffstechniken, es ist deshalb völlig gewöhnlich, dass die Trainierenden die Übung in diesen und die Konzentration auf sie vernachlässigen. Aber schwache, halbherzige Angriffe führen zu schwachem und halbherzigem Aikido. Beide Rollen sind gleichwertig, da es sich im Aikido um Zusammenarbeit handelt, und darum, die angreifende Kraft zu leiten.
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Der Angreifer wird Uke genannt, wie in dem Term für die Falltechnik – Ukemi. Das Kanji für Uke 受け ist ein Zeichen, das bedeutet, entgegennehmen und empfänglich sein, und die darin enthaltenen Symbole zeigen eine Hand, die etwas gibt. Der Angreifer ist also der, der geführt wird, der entgegennimmt. Der Verteidiger, derjenige, welcher führt, wird Tori oder Nage genannt – wie in Nagewaza, Wurftechnik. Tori bedeutet ganz einfach nehmen und wird lustigerweise mit Symbolen 取りfür eine Hand, die jemanden am Ohr greift, geschrieben – eine Handlung, die gleichwertig damit zu sein scheint, wie wir westlichen Menschen sie anwenden, und die daher andeutet, dass man ein erzieherisches Ziel verfolgt oder zeigen will, dass man berechtigt dazu ist. Es ist zu beachten, dass das Wortpaar also nicht geben und nehmen ist, sondern nehmen und entgegennehmen, also haben Uke und Tori ähnliche Aufgaben im Aikidotraining – nur mit dem Unterschied, dass es tori ist, der die Initiative hat, obwohl es Uke ist, der mit seiner Attacke einleitet. Man soll also im Aikido zusehen, dass man die Initiative übernimmt, nicht um zu siegen, sondern um zuzusehen, dass beide etwas lernen. Da das so viel mehr bedeutet als nur Leute herumzuwerfen, ziehe ich das Wort tori dem Wort nage vor, obwohl beide im Aikido angewendet werden.
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Tori hat die Rolle des Friedvollen, der den Angriff ruhig erwartet und ihn so angenehm neutralisiert, wie er es vermag. Die Rolle des Angreifers ist natürlich eine ganz andere. Er soll mit voller Konzentration und Geschicklichkeit angreifen. Ein minderwertiger Angriff gibt schlechtes Training und schafft Disharmonie in der Ausführung der Aikidotechniken.
Es ist wirklich nicht leicht, ein guter Uke zu sein. Man muss lernen, eine lange Reihe Angriffstechniken zu beherrschen, Kogekiho, die in der Regel von den anderen Budoarten entliehen sind – etwa die Schläge und Fußtritte des Karatedo, die Schwertformen des Kendo und die Griffe des Judo. Es reicht da nicht, diese Techniken lässig anzudeuten, nur weil man weiß, dass man sowieso verfehlt und geworfen wird. Es geht gewöhnlich gut, wenn man eine Technik das allererste Mal übt, aber schon wenn der Uke sich erhebt, um ein zweites Mal anzugreifen, hat sich sein Angriff etwas verändert. Er weiß, welche Technik ihn erwischen wird und steuert seinen Angriff unbewusst ein wenig um – entweder um die Durchführung der Aikidotechnik zu verteidigen, oder um sie leichter und angenehmer zu machen. Leider wird das Training von diesem Augenblick ein wenig verfälscht.
Doshu Kisshomaru Ueshiba, 1921-1999.
Aikido baut nicht so sehr auf Physiologie – vorgestreckte Fäuste oder heranstürmende Körper – wie auf Energien und Gesetze innerhalb des körperlichen Ausdrucks. Deshalb ist es am wichtigsten, dass der Geist im Angriff der richtige ist. Der Uke muss den Geist des Angreifers annehmen und ihn voll und ganz ausleben. Sein Schlag strebt danach, den Verteidiger zu treffen, sein Griff danach, ihn festzuhalten – genau wie im wirklichen Kampf. Es ist selbstverständlich, dass er trotzdem denselben Typ von Vorsicht zeigt wie nage es seinerseits tut, so dass sie Verletzungen vermeiden.
Shoji Nishio, Malmö Lehrgang 1996. Foto: Ulf Lundquist.
Der Uke soll sich anstrengen, sich in seinem Angriff zu benehmen wie ein großartiger Samurai – vorwärts gehen mit Tanden, mit dem Kifluss und mit Entschlossenheit. Aikido ist so ausgedacht, dass es beim allerbesten und allergeschicktesten Angriff, beim schwersten Herausforderer funktioniert. Deshalb gibt der Uke nur dann, wenn er sein Äußerstes tut, um all das zu werden, dem tori die Chance, seine Technik zu solchem Können zu feilen.
Der Uke muss sich die ganze Technik hindurch so verhalten, als ob er wirklich einen Anfall gegen einen Feind ausführte. Viele trainieren so, das sie einen kraftvollen Angriff machen und dann völlig abschalten, so bald der nage seine Aikidotechnik einleitet. Es ist, als würde man leblose Dinge werfen oder in einem Festhaltegriff zu Boden führen. Das ist nicht natürlich. Der Angriffswille des Angreifers soll die ganze Technik hindurch fortgesetzt werden, so dass es für den Uke möglich ist, sich zu befreien und den Angriff sofort zu erneuern, wenn der nage während des Verlaufs einen Fehler macht. Das klingt wie ein aggressives Spiel, aber das ist genau das, wozu die Aikidotechniken da sind, und womit sie am besten umgehen können, und so ist das faktisch der Weg zu den weichsten, angenehmsten Techniken.
Ein tauglicher Angriff folgt den selben Prinzipien wie die Verteidigungstechniken des Aikido. Das Körperzentrum, Tanden, ist die Basis für die Ausführung, und Ki ist die Energie, die die eigentliche Attacke durchführt. Der Uke soll nach gutem Gleichgewicht und guter Kontrolle streben, den Bauch in die Richtung wenden, in die er sich bewegt, und nie die Konzentration verlieren. Er soll versuchen, die Initiative zu behalten – angreifen wo er kann und sich schützen, wo er sich bedroht fühlt.
Der dem Anschein nach einfachste aller Angriffe, der Griff um das eine Handgelenk des Verteidigers, ist selbst genau so fordernd und komplex wie jeder andere Angriff. Der uke soll einen schnellen Schritt gerade nach vorn machen und das Handgelenk des nage in einem festen Griff schnappen, der den tori sowohl davon abhält, die Hand wegzuziehen, als auch davon, seinerseits anzugreifen. Der Griff ist selbstverständlich Anfall und Verteidigung, und der Angreifer kann ihn natürlich von einem Schlag mit der freien Hand folgen lassen.
Shoji Nishio, Malmö Lehrgang 1996. Foto: Ulf Lundquist.
Jemanden greifen heißt, ihn mit seinem eigenen Zentrum zu verknüpfen, ungefähr so, wie wenn man einen Hund an der Leine hält. Man steht fest und strebt danach, mit dem Griff eine gute Kontrolle über den Körper und die Bewegungen des anderen zu haben. Genau wie in der Schwertposition Chudan Kamae hält man seinen Griff vor dem Bauch in der Höhe von Tanden und sollte den Arm des anderen so leicht manövrieren können wie das eigene Schwert in Chudan Kamae. Ja, den Partner zu greifen ist ungefähr dasselbe wie ein Schwert zu halten. Der kleine Finger ist am wichtigsten und schließt sich am härtesten um das Handgelenk, das Gleichgewicht und die Kraft im Griff gehen von tanden aus und man soll jederzeit schnell sowohl seine eigene als auch die Position des festgehaltenen Arms verändern können.
Wenn der Verteidiger versucht, sich freizuschlagen, kann sein Arm leicht nach vorne geführt werden und den Schlag blockieren, wenn der Verteidiger reißt und zieht um loszukommen, soll er nur noch fester sitzen und selbst seine Balance verlieren. Der Angreifer strebt mit diesem Angriff danach, den anderen in seine eigene Sphäre, in sein eigenes Universum zu führen. Das wird keinesfalls mit steifen, angespannten Muskeln erreicht, sondern durch Entspannung und einen konzentrierten Geist. Da kann es richtig heikel für den nage werden, sich loszumachen, er muss den harmonischen Weg finden.
Während des ganzen Verlaufs der Aikidotechniken setzt der Angreifer damit fort, nach dieser Kontrolle zu streben, er richtet sein Zentrum so gut er kann gegen den Angegriffenen. Wenn man die Aikidotechnik in ruhigem Tempo ausführt, kann das gekünstelt wirken, aber so bald man gelernt hat, Aikido in der natürlichen Geschwindigkeit auszuführen, merkt man, dass das einzig mögliche ist. Aikido funktioniert so, dass der Angreifer seinen Angriff nicht abbrechen kann, bevor die Technik ihr Ende erreicht hat.
Allgemein nützt Aikido, mit fortschreitendem Training immer raffinierter, den offensichtlichen Umstand aus, der für jeden Angreifer gilt – er muss während seines Angriffs damit rechnen, dass auch er verwundbar ist. Wer danach strebt, einem anderen zu schaden, läuft das Risiko, selbst Schaden davonzutragen. Er will sich deshalb ebenso schützen wie er gewinnen will, sich verteidigen ebenso wie angreifen. Viele Aikidotechniken bauen ganz einfach auf dem grundlegenden Kampf von Körper und Geist um sein Überleben, auf dem Instinkt sich zu schützen, der jeden bewussten Willen und jedes einstudierte Bewegungsmuster übertrumpft. Selbst der furchtloseste Kämpfer hat Reflexe, die in ihm zucken, wenn empfindliche Teile seines Körpers bedroht werden, und lässt sich daher von dem Angegriffenen manipulieren. Aber diese Reflexe lassen sich nur anwenden, wenn der uke so konzentriert in seinem Angriff ist, wie er es wäre, wenn der Angriff in richtiger Böswilligkeit gründete. Der uke muss also in seinem Angriff dieses Gefühl nachempfinden. Nicht so, dass er mit rabiaten Attacken vorstürmt, denn das führt nur zu Schäden und einer unlustigen Atmosphäre im Training. Er erreicht das stattdessen dadurch, dass er sich auf seine Attacke konzentriert und zu vergessen versucht, was der Verteidiger zu tun gedenkt, wie oft sie auch die selbe Sache gemacht haben.
Nobuyoshi Tamura, Stockholm Lehrgang 1998.
Das Training mit einer solchen Einstellung ist eine wirkungsvolle Methode, um den Geist von Gedanken zu leeren, ein Weg zur Leere und Reinheit des Budo. Außerdem wird das Wechselspiel des Aikidotrainings zwischen Angriff und Verteidigung ein ausgezeichnetes Training darin, sein Ki zu lenken und sein Temperament zu steuern. Im einen Augenblick soll man Uke sein – ein kraftvoller, überwältigender Angreifer, und im nächsten nage – ein friedlicher folgsamer Verteidiger. Das öffnet die Tür zu einer großen seelischen Ruhe.
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