Die Techniken des Aikido sind nicht nur auf den ersten Blick wie ein Labyrinth. Die Arme gehen da hin, die Beine gehen dort hin, die Hände werden abgewinkelt und der Körper wird in die eine oder andere Richtung gedreht. Allein seinen eigenen Körper im richtigen Bewegungsschema zu steuern, kann ebenso unmöglich erscheinen wie das vertrackteste Koan. Wenn es dann darum geht, einen anderen Menschen in diesen Bahnen zu steuern, oder mehrere Angreifer auf einmal – da liegt es nahe, seufzend den Kopf zu schütteln. Da ist doch wohl zu viel im Zaum zu halten?
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Ja, so ist es. Wenn der Mensch eine Art Maschine wäre, in die jedes Können, das er sich aneignen will, einprogrammiert werden müsste, da wäre Aikido schnell eine viel zu große Herausforderung. Aber der Mensch ist keine Maschine, und Aikido ist nicht irgendein beliebiges Muster von eigenartigen Bewegungen. Aikido ist Natürlichkeit, und der Mensch hat seit seiner Entstehung eine feste Wurzel im Natürlichen.
Wir brauchen also nur empfänglich für unsere innere Stimme, unsere innere Gewissheit zu sein, um die Bewegungen des Aikido sofort so selbstverständlich ausführen zu können, als seien wir selbst es gewesen, die sie erfunden haben. Wenn wir diesen Instinkt für das, was richtig ist, nicht fühlen können, wenn dieser innere Kompass niemals irgendeinen Ausschlag unter dem Aikidotraining gibt – da sind wir von Anfang an auf der falschen Spur, und kein Fleiß, keine Anstrengung der Welt können das kompensieren.
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Übungen für Wirbelsäule und Zentrum (Dantian),
Spontanes Qigong – freier Fluss der Lebenskraft,
stille Übungen der taoistischen Meditation.
Die Wurzel des Menschen im Natürlichen, sein innerer Kompass und untrügerischer Fühler, ist sein Zentrum. Das heißt auf japanisch Tanden (chinesisch: Dantien) oder seika no itten, und befindet sich mitten im Körper, im Bauch, ungefähr drei Fingerbreit unter dem Nabel. Der selbe Punkt ist auch der Schwerpunkt des Körpers. In der indischen Mystik spricht man von sieben Chakras, Energiepunkten im menschlichen Körper – vom Geschlecht hinauf bis zur Spitze des Schädels. Chakra bedeutet eigentlich „Rad“ und jedes von ihnen steht für seine spezielle Eigenschaft. Tanden ist der zweite Punkt von unten in diesem Schema und wird in Indien svadhishthana genannt.
Tanden.Kalligraphie des Autors.
Das Schriftzeichen für Tanden bedeutet teils Zinnoberrot und teils Reisfeld, also das zinnoberrote Reisfeld. Da Reis in jenem Teil der Welt das wichtigste Nahrungsmittel ist, steht er an sich schon für Lebensenergie, ein ganzes Feld davon ist also ungleich mehr Energie, und wenn es rot ist, so als ob es glühte – wie der funkelnde rote Kristall Zinnober – da wird das ein Ausdruck für eine gewaltige Menge Lebenskraft. Das Zentrum für diese Kraft ist ein Punkt einige Zentimeter unter dem Nabel, im Körper. Der Punkt wird auch ki kai tanden genannt, ein „Meer von Ki“ in diesem zinnoberroten Reisfeld, oder seika no itten, was „der einzige Punkt“ bedeutet. Im Deutschen können wir am einfachsten von „Zentrum“ sprechen. Dieses Zentrum ist für den Anfänger ebenso schwer vorzustellen wie wahrzunehmen. Deshalb ist es von äußerster Wichtigkeit für den Übenden, dass er von Anfang an versucht, sein Ki und die Wahrnehmung seines Zentrums zu stimulieren – die beiden führen zueinander. Tanden (Dantian) ist das Meer von Ki, die unerschöpfliche Quelle der Lebensenergie und das „Mundstück“, zu und von dem Ki zu fließen tendiert. Je mehr man sich auf sein Ki konzentriert, desto deutlicher nimmt man sein Zentrum wahr, und je mehr man sich auf sein Zentrum konzentriert, desto stärker wird der Ki-Fluss.
Im Aikido ist dieses Zentrum in erster Linie teils der Ausgangspunkt für Gleichgewicht und Standfestigkeit sowie der Schwerpunkt des Körpers, und teils die Quelle durch die das meiste Ki fließt. Wenn man sich auf sein Zentrum konzentriert, so wird man standfest, die Bewegungen werden kraftvoll und unbeirrbar, und das Ki fließt. Das kommt natürlich mit der Zeit. Alle Bewegungen im Aikido haben ihren Ausgangspunkt in tanden und führen in Bögen und Spiralen dorthin zurück. Am deutlichsten zeigt sich das im Schwerthieb.
Das japanische Schwert, katana, wird mit beiden Händen gegriffen. In der Grundposition hält man das Schwert ungefährt eine faustbreit vor seinem Zentrum, die Schwertspitze zeigt zum Auge des Partners (genau gesagt zum linken Auge). Der Winkel ist nicht so besonders steil, weil das Schwert nach oben gebogen ist und der Partner sich in einem größeren Abstand befindet als in waffenlosem Training. Wenn man dann zuschlägt, hebt man das Schwert in einem Bogen über den Kopf – ausgehend vom Zentrum. Beim Zug nach oben atmet man ins Zentrum ein, beim Schlag atmet man von dort aus.
Es ist selten so deutlich wie im Schwertschlag, aber alle Bewegungen im Aikido haben den selben Verlauf – vom Zentrum in einem Bogen zurück dazu. Wenn man in seiner Bewegung diese Verbindung mit seinem Zentrum verliert, wird die Technik schwach und unsicher, meist völlig missglückt. Tanden ist auf diese Weise wie eine Richtschnur, ein ständig gegenwärtiges Fazit für die Aikidotechniken. Später wird tanden viel mehr als das.
Es scheint so zu sein, dass man in der Psychiatrie teilweise darüber spricht, sich zu zentrieren, sein Zentrum wiederzufinden. Da zielt man auf die Verwirrtheit, von der wir erfasst werden können, weil das Dasein unleugbar viel größer und viel komplizierter ist als wir es manchmal hantieren können. Menschen mit Sinnesverwirrung verlieren das Gefühl von Verwurzeltsein, von Festigkeit, das ihnen die Chance geben würde, sich nach emotionellen Stürmen zu erholen. Sie müssen lernen, sich sozusagen in sich selbst niederzulassen, allen mentalen Wirrwarr fortzuschälen, bis sie zu einem reinen und festen Erlebnis davon gelangen, wer sie im Grunde eigentlich sind. Wir müssen alle Zerstreuungen abschütteln können und entdecken, dass wir wir selbst bleiben, durch emotionelle Unwetter und die peitschenden Winde der Veränderung hindurch.
Seiichi Sugano. Foto: Magnus Hartman.
Das Zentrum des Menschen im asiatischen Denken ist ungefähr das selbe. Im Kern meines Wesens selbst gibt es keinen Zweifel – es gibt mich und ich bleibe, durch alle Abenteuer und Umwälzungen hindurch. Im Unterschied zur Psychiatrie ist dieses Zentrum jedoch nicht nur eine mentale Therapie oder Konzentrationsübung. Tanden ist im höchsten Grad konkret – ein Punkt im Bauch, so zuverlässig wie der Schlag des Herzens in der Brust. Für Asiaten ist dieses Zentrum reine Wirklichkeit.
Christian Tissier. Foto: Magnus Hartman.
Beobachten Sie kleine Kinder, die gerade das Gehen gelernt haben. Sie schieben den Bauch nach vorne wie Sumo-Ringer und machen ihre Schritte mit der selben Schwere, derselben Konzentration auf ihr Zentrum. Es passiert gewiss, dass Menschen, wenn sie älter werden, den Kontakt mit ihrem Zentrum verlieren. Der unmittelbare Effekt ist schlechtes Gleichgewicht und Schwäche in den Bewegungen. Leider leben viele ihr ganzes Leben auf diese Weise. Wenn man sich darin übt, sein Zentrum im Bauch wahrzunehmen und sich darauf zu verlassen, was man auch tut, da wächst die Gewissheit um das eigene Wesen. Man gewinnt den Kontakt mit sich selbst zurück, die Sicherheit darin, sowohl zu wissen, dass es einen gibt und dann, sich besser und besser kennenzulernen. Der Weg zur Selbsterkenntnis geht durch Tanden.
Im Aikidotraining konzentriert man sich ständig auf sein Zentrum, so dass es mehr und mehr der Initiator und Motor der Bewegungen wird. Diese physische Übung von Tanden bekommt auch eine psychische Entsprechung. Man schlägt sozusagen Wurzeln im Dasein und läuft immer weniger das Risiko, das physische oder psychische Gleichgewicht zu verlieren. Es geschieht durch das Zentrum, dass man heil wird und ein Selbstgefühl gewinnt, welches sich nicht auf Erfolge oder Eroberungen stützt. Dieses Selbstgefühl besteht ganz einfach darin, geradeheraus und aufrichtig zu konstatieren: ich bin der ich bin.
Wenn ich gezwungen wäre, einen Faktor, ein Element aus dem Aikido zu wählen, welches am wichtigsten ist – da wäre das ohne Zweifel Tanden, das innere Zentrum des Menschen. Es gibt im ganzen Aikido nichts Wichtigeres. Im Training mit dem Partner sind es also im Wesentlichen zwei Tanden, die zusammenarbeiten und durch die Prinzipien des Aikido zu harmonischem Ausdruck geführt werden sollen, weshalb die wichtigste Aufgabe der Trainierenden sein muss, gegenseitig das Zentrum des anderen zu stimulieren und einander zu helfen, das eigene Zentrum zu finden, zu erfahren und diesem dann immer mehr Ausdruck zu verschaffen.
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