Von den vielen Unterschieden zwischen den Nationalitäten ist einer der deutlichsten, welchen Abstand Menschen von unterschiedlichen Kulturen gewöhnlich zueinander einnehmen, wenn sie miteinander sprechen oder umgehen. In einigen Ländern ist der Abstand kurz, man kann einander ohne Problem praktisch auf dem Schoß sitzen und sich doch frei unterhalten. In anderen, wie zum Beispiel in Schweden, braucht man mindestens einen halben Meter Distanz, damit die beiden sich nicht bedrängt fühlen und nach hinten ausweichen. Das wird ziemlich komisch, wenn Menschen von unterschiedlichen Gewohnheiten ein Gespräch führen – der eine geht nach vorne, um nicht unanständig distanziert zu sein, der andere geht zurück, um sich nicht bedrängt zu fühlen.
Man kann von einer privaten Sphäre sprechen, die sich um den eigenen Körper ausbreitet. Innerhalb dieser Sphäre will man allein sein und in Ruhe gelassen werden, wenn es sich nicht um Intimitäten handelt. Japaner sind an Gedränge gewöhnt und haben es deshalb leicht, sich zusammenzudrücken wie Sardinen in Konservendosen, ohne im geringsten auf ihre Integrität zu verzichten – sie haben eine Technik, so zu tun, als existierten die anderen nicht. Wenn sie reichlich Platz haben, ziehen sie einen Abstand vor, der dem der Schweden gleicht.
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Nun, in den japanischen Kampfkünsten gibt es eine ähnliche persönliche Sphäre, die außerdem eine strategische Bedeutung hat. Zwei Kämpfer wählen in ihrer Ausgangsstellung einen gewissen Abstand voneinander. Dieser wird Ma-ai genannt, was man übersetzen kann mit Abstandsharmonie oder -gleichgewicht. Der Begriff beinhaltet zwei japanische Schriftzeichen, von denen das erste Abstand bedeutet und stellt dar, wie die Strahlen einer Sonne gerade noch in die Ritze zwischen zwei Schwingtüren zu drängen vermögen. Die andere Silbe im Wort ist dasselbe ai wie in Aikido.
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Das Schriftzeichen für Abstand kann auch ein bestimmtes Längenmaß angeben, ungefähr zwei Meter, doch der korrekte Abstand zwischen zwei Kämpfenden variiert, abhängig von deren Größe, von der Kampfkunst welche sie ausüben und von eventuell verwendeten Waffen. Das grundlegende Prinzip für ma-ai ist einfach: sie sollen so weit voneinander entfernt sein, dass keiner den anderen mit einem Angriff erreichen kann, sondern einen Schritt nach vorne machen muss. Für zwei unbewaffnete Personen beinhaltet das, dass sie mit ausgestreckten Armen nicht mehr erreichen als die Hände des jeweils anderen. Vielleicht liegt im westlichen Händeschütteln ein Ritual mit derselben Bedeutung – man misst einen korrekten Abstand zueinander ab. In der Schwertkunst sollen Duellanten, die in der Stellung chudan kamae stehen, wobei sie das Schwert in Höhe der Taille nach vorne strecken, ihre Schwerspitzen gekreuzt halten.
Chushingura, 47 ronin. Kuniteru (Sadashige) 1855.
Wenn die zwei Trainierenden einander näher stehen als das natürliche ma-ai, so kann keiner von ihnen sich gegen einen plötzlichen Angriff wehren, und das vergrößert das Risiko für einen Kampf, der aus reinem Unglück ausbricht. Das erinnert an den größten Haken des Rüstungswettlaufs – als die Technik die Zeit zwischen Abschuss und Niederschlag der Missiles auf einige Minuten verringert hatte, mussten beide Seiten praktisch ständig ihre Hand knapp über dem Knopf halten. Das gewährt nicht viel Zeit, um seine Handlungen abzuwägen.
Im Aikido ist dieses ma-ai wie eine unsichtbare Sphäre um den Trainierenden, und erst wenn der Partner in diese Sphäre drängt, werden die Aikidotechniken in Gang gesetzt. Morihei Ueshiba sah seine Sphäre als ein eigenes Universum an, in dem seine Naturgesetze herrschten – deshalb war ein Eindringen zum Misslingen verurteilt. Wenn der Angriff in sein ma-ai kam, musste er unvermeidbar in die Bahnen geführt werden, die dort herrschten.
In der Mitte dieser Sphäre, dieses Universums, befindet sich natürlich tanden, das Zentrum des Körpers. Sich gegen Angriffe zu verteidigen ist kein Kampf zum Wiedererlangen der Obergewalt über das eigene Universum, sondern nur ein natürlicher Ausdruck dieser Obergewalt. Der Angriff muss misslingen, da er das Eindringen in die Welt eines anderen Menschen bedeutet. Wenn der Partner angreift, bricht er durch die Peripherie der Sphäre des Angegriffenen und verliert deshalb die Kontrolle über seine eigene Sphäre und sein eigenes Zentrum. Die Kreisbewegungen des Aikido befördern ihn wieder nach draußen, mit Mitteln, die denen der Zentrifugalkraft gleichen. So lange es dem Angreifer nicht gelingt, das Zentrum des Angegriffenen durch sein eigenes zu ersetzen, kann er nicht der Stärkste oder Stabilste sein.
Man könnte das mit dem Versuch vergleichen, eine Debatte in einer fremden Sprache zu gewinnen versuchen. Mit seinem Eindringen wird der Angreifer gezwungen, sich an die Sprache des Angegriffenen anzupassen. Wie kann das gut für ihn gehen? Im Aikido muss man sich also zuallererst darüber im Klaren sein, dass es die Regeln und Bedingungen des Angegriffenen sind, die gelten müssen. Der größte Fehler, den der Verteidiger begehen kann, ist, den Willen des Angreifers gelten zu lassen, indem er ihn in seiner Antwort nachahmt und sich auf diese Weise seinem Angriff fügt. Da hat man schon seine eigene Sphäre verlassen und ist Peripherie in der des Partners geworden.
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