Von Indien weiter bis zum östlichen Ende Asiens sind verschiedene Atemübungen ein wichtiger Teil der Selbstheilung von Menschen. Bei diesen Völkern ist es ein allgemeines Wissen, dass der Atem der wichtigste Schlüssel zur Gesundheit und zum Wohlbefinden ist. Wer sich täglich Atemübungen widmet, hat eine größere Chance, gesund und rüstig zu bleiben.
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Es ist verwunderlich, dass in Europa keine ähnlichen Traditionen entstanden sind, obwohl wir seit Urzeiten wissen, dass der Atem selbst die Voraussetzung für das Leben ist – vom ersten Atemzug und dem nachfolgenden Gebrüll des Neugeborenen bis zum allerletzten Seufzer der Alten. Dazwischen scheint man im Westen den Atem für gegeben zu halten, etwas, worum sich ausschließlich das autonome Nervensystem kümmert, das wie alle grundlegenden biologischen Mechanismen unsere Aufmerksamkeit nicht verdient. Vielleicht ist es ein Kennzeichen für unsere Kultur – im Guten wie im Schlechten – das Alltägliche, das Natürliche zu vernachlässigen, zum Vorteil aller Wunderlichkeiten die wir erfinden können.
Schriftzeichen für Ki, Lebensenergie, Kalligraphie des Autors
Nun, unter den vielen asiatischen Atemübungen ist eine, die nach dem Prinzip des Quadrats funktioniert: vier gleich lange Seiten. Man atmet in einem langgezogenen, tiefen Atemzug durch die Nase bis hinunter in den Bauch ein. Dann hält man den Atem so lange an, wie das Einatmen benötigte. Danach atmet man genauso lange durch die Nase oder den Mund aus, hält den Atem den gleichen Zeitraum an, und dann fängt man wieder von vorne an.
Es ist wichtig, tief und ruhig zu atmen – kürzere Intervalle als zehn Sekunden sind nicht sinnvoll – und eine gute Haltung zu haben, mit aufrechtem Rückgrat, entspannten Schultern und leicht vorgestrecktem Magen. Man braucht dieses Atemquadrat nicht oft zu wiederholen, damit das Resultat sich zeigt: Wohlbefinden, Entspannung und eine Luft, die sozusagen besser schmeckt. Die Intervalle zu verlängern ist ein nützliches Training und eine natürliche Entwicklung dieser Übung. Da wird man auch schnell der großen Crux gewahr: drei der vier Seiten der Übung kann man ausgezeichnet verlängern, aber es ist unglaublich schwer, den Atem nach dem Ausatmen etwas länger zu halten. Die Brust tut weh und der Körper löst alle möglichen Alarmsignale aus. Das ist ein ziemlich dummes Gefühl.
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Spontanes Qigong – freier Fluss der Lebenskraft,
stille Übungen der taoistischen Meditation.
Man sollte also die Zeitintervalle danach ausrichten, wie lang man irgend bequem den Atem nach dem Ausatmen anhalten kann, ohne von Panik ergriffen zu werden oder den ganzen Oberkörper im Kampf gegen den Impuls des Einatmens zu verkrampfen. Die Übung soll ja zu Entspannung führen, nicht zu einem Stellungskrieg zwischen dem bewussten Willen und den Instinkten.
Es gibt eine Möglichkeit, die Intervalle merklich zu verlängern und trotzdem ruhig zu atmen. Anstelle den Atem anzuhalten, indem man die Muskeln zusammenzieht, sozusagen einen Deckel auflegt, sollte man denken, dass der Atemzug weitergeht – obwohl keine Luft kommt. Wenn man seine Lungen mit Luft gefüllt hat, hält das Gefühl des Einatmens dennoch an, und wenn man seine Lungen von Luft geleert hat, hält das Gefühl des Ausatmens an. Es klingt verwunderlich, aber es ist keine schwerere Übung für die Phantasie, als sich eine Übung zu denken, bevor man sie ausführt. Obwohl die Luft nicht länger fließt, kann man sie wie ein Brausen fühlen, eine Flut durch den Körper vom Bauch bis zu den Nasenlöchern. Die Atmung hat keinen Anfang und kein Ende, sie wendet nur zwischen Ein und Aus, aber mit der Zeit wird auch dieser Unterschied abgenützt. Die Atmung wird ein ständiges Fließen, gleichzeitig sowohl in als auch aus.
Die Wahrnehmung, die man auf diese Weise übt und verstärkt, dieses Brausen eines unterirdischen Flusses, ist Ki (Qi) – die kosmische Lebensenergie. Ki (Qi) funktioniert ungefähr wie der Atem, man kann es beschreiben als Atem vor dem Atem, die eigentliche lebensspendende Essenz – ungefähr wie die verborgene Funktion des Sauerstoffs in der Luft. Wenn wir atmen, sind der Sauerstoff, den wir aufnehmen und das Kohlendioxid, das wir abgeben in einem ständigen, lebensnotwendigen Kreislauf. Der Sauerstoff verbirgt sich in der Luft. Das Ki ist auch versteckt, vor und außerhalb der Luft die wir atmen.
Die Ähnlichkeit zwischen Sauerstoff und Ki ist so schlagend, dass der moderne Analytiker Ki am liebsten als nichts anderes als die östliche Ahnung eben des Sauerstoffs beschreiben möchte. Man wusste früher nichts von der Existenz und Funktion des Sauerstoffs, aber man konnte natürlich die lebenswichtige Bedeutung des Atems erkennen. Es war plausibel sich eine verborgene Essenz in der Luft vorzustellen, eine Lebenskraft, die ständig durch uns fließen muss, damit wir uns am Leben erhalten können.
Und doch ist das weit entfernt von allem, was Ki aus der asiatischen Perspektive ist. Ki hat nicht die Begrenzungen, die für den Sauerstoff gelten. Zum Beispiel muss das Ki nicht dem Weg der Luft durch Nase oder Mund in die Lungen folgen, um dann wie Sauerstoff im Körper verteilt zu werden. Nein, das Ki kann durch den Menschen in jede Richtung fließen – hinein durch die Fußsohlen und Handflächen, hinaus durch die Fingerspitzen oder die Stirn oder den Brustkorb. Ki bündelt alle Wahrnehmungen der Sinne in einem Strahl von Aufmerksamkeit. Wenn Ki ein Äther ist, so besteht es am ehesten aus der Gewissheit ich bin, dem Bewusstsein davon, dass es einen gibt und dass man sich zur Umwelt verhält. Wenn Leben Bewegung ist, so ist Ki der Wille hinter jeder Bewegung, der Impuls dafür und etwas, das den Boden dafür bereitet. Der Körper bewegt sich mit Hilfe von Muskeln und Verbrennung, aber der Wille bewegt sich mit der Hilfe von Ki. Und es ist der Wille, der dem Körper vorausgeht und ihn steuert.
Vielleicht kann man Ki den Äther der Intention nennen. Wenn man zum Beispiel einen Schneeball auf ein Verkehrsschild werfen will, so wird zunächst im Bewusstsein eine gedachte Wurfparabel zwischen dem Schneeball und dem Blech des Verkehrsschilds geschaffen. Die Parabel beginnt jedoch nicht im Schneeball, den man in der Hand hält, sondern im Körper, da, wo die Kraft für den Wurf herkommt – unterhalb des Nabels, im Zentrum des Menschen. Diese gedachte Parabel vom Kern des Willens zur Zieltafel wird ein Fluss von Ki. Je deutlicher und stärker dieser Fluss ist, desto sicherer wird die Bahn des Schneeballs und desto deutlicher der Treffer. Alle Bewegungen im Aikido werden in dieser Geisteshaltung ausgeführt.
Ulf Evenås, Göteborg. Foto: Jüri Soomägi.
Auf chinesisch heißt das Chi (oder Qi in der modernen Schreibweise). Das Schriftzeichen besteht aus zwei Teilen – Reiskorn und Dampf. Der kochende Reis, das wichtigste Symbol des Ostens für das Lebensspendende. Reis kann nicht gegessen wer den, bevor er gekocht ist, erst wenn er Energie bekommen hat, kann er Energie geben. So ist es auch mit Ki – die Bewegung ist selbst seine Voraussetzung, die Zirkulation seine ständige Bedingung. Wer seine Hähne zudreht und sein Ki einschließt, wird schrumpfen. Die Lebenskraft in ihm wird muffig, fad, und er verliert den Funken. Um seine Kraft zu steigern, muss man das Ki herausfließen lassen. Da kommt eine weiter Ähnlichkeit mit dem Atem hinzu – wer nicht ausatmet kann auch nicht einatmen. Man muss geben um zu bekommen, muss sich leeren um gefüllt werden zu können, wegwerfen um etwas Neues gewinnen zu können.
Leben ist Veränderung, eine endlose Bewegung ohne Anfang oder Ende, ohne einen fixen Startpunkt oder ein endgültiges Ziel. So ist auch Ki. Der Ki-Fluss bewegt sich nicht in geraden Bahnen, eher wie die Himmelskörper in Bögen und gekrümmtem Lauf. Man sagt, Ki sei Spiralen in Spiralen in Spiralen. Die natürliche Bewegung von Ki ist wie eine Serpentine – die scheinbar gerade Linie besteht aus einer Spirale, die voranschießt. Und in der Spirale verbirgt sich die nächste Spirale und in jener die nächste. Wer seinen Kifluss stimulieren will, sollte eher gerundete Bewegungen wählen als direkte und eher einen wiederkehrenden Verlauf als einen sich verlierenden. Ki fließt am stärksten bei Bewegungen, die dem Lauf der Himmelskörper gleichen – in Ellipsen.
Man spricht oft vom Kreis – sowohl wenn man vom Aikido als auch wenn man von Astronomie spricht – aber es ist in beiden Fällen genauso unwahr. Ein natürliches Aikido, das in den Bahnen von Ki fließt, bildet Ellipsen. Genauso ist es mit Planeten und Asteroiden. Einige Planeten – zum Beispiel der Neptun und die Erde in unserem Sonnensystem – bewegen sich in Bahnen, die nahezu Kreise zu sein scheinen. Wenn man diese genauer studiert, sieht man jedoch, dass auch sie sich elliptisch bewegen – mit der Sonne in einem der beiden Brennpunkte. Je näher sie der Sonne sind, desto höher ist ihre Geschwindigkeit, je länger von ihr weg sie sich befinden, desto langsamer bewegen sie sich. Kein Himmelskörper hat eine gleichmäßige Geschwindigkeit – sie verlangsamen und beschleunigen. Auch das ist natürlich für Aikido und für Ki.
Eine gleichmäßige Geschwindigkeit und eine gerade Linie sind unveränderlich, wie der Tod. Da das Ki selbst Lebensenergie ist, sind seine Form und sein Ausdruck immer am längsten von dem entfernt, was dem Tod gleicht. Ki kann erweitert oder gesammelt werden, beschleunigen oder sich verlangsamen, aber es kann niemals still stehen. Wer wirklich in Harmonie mit Ki gelangt, ist in der Lage, die Energie zu steuern, aber er tut das immer in Bahnen, die diesem passen, zu denen es natürlich strebt. Da wird Ki nicht nur ein Mittel für den Menschen selbst, sondern ein grenzenloser Fluss, der durch den ganzen Kosmos fließt. Man spürt diesen Fluss und folgt ihm, wie in einem universellen Tanz, einer Musik der Sphären.
Morihei Ueshiba sprach von Ki als von etwas sowohl Persönlichem als auch Universellem. Der persönliche Ki-Fluss jedes Menschen muss nach einer Vereinigung mit dem universellen Fluss streben. Es liegt ein kleinlicher, fast lächerlicher Ehrgeiz darin, sein Ki zu stimulieren, um die eine oder die andere großartige Tat auszurichten. Wenn das Ki wirklich grenzenlos fließt, schenkt das eine geistige Erfahrung, die das Individuelle völlig bedeutungslos macht. Man beginnt, den kosmischen Äther selbst zu atmen, und das ich bin, das den Kern des Ki bildet, geht auf im ganzen Seienden des Universums. Man ist nicht länger von der Existenz unterschieden, sondern wird eins mit dem Weltall.
Ueshiba sprach auch von positivem und negativem Ki. Das negative ist destruktiv, eine Kraft, die von der Umwelt getrennt ist und selten auf Dauer etwas anderes zustandebringt als Zerstörung. Sie drückt nieder, hemmt und schadet, führt immer näher zum Tod. Allein in positivem, freigiebigem Geist bekommt man ein Ki, das schaffen, heilen und uns recht führen kann, das über die Begrenzungen des eigenen Ich hinausreicht. Die ihr Ki negativ machen, wollen es in gerade Linien zwingen, sie wollen es aufhalten und bändigen – und damit auch das Ki von anderen bändigen. Solche Menschen können einiges zustandebringen, manchmal auch anderen imponieren, aber was sie tun, fühlt sich nie angenehm an. Leider können sie manchmal sogar das Ki von anderen ins Negative wenden. Wenn man sein Ki übt, ist es deshalb von größtem Gewicht, das nicht für sich selbst zu tun, sich nicht von den Werken fangen zu lassen, die man mit Ki auszuführen vermag. Man sollte alles zurückgeben, was man bekommt – man sollte es zum Wohlbefinden von allen fließen lassen.
Claes Wikner, Stockholm. Foto: Magnus Hartman.
In der okkulten Tradition des Westens findet man ähnliche Warnungen. Man spricht da von weißer und schwarzer Magie. Die erstere ist wohlwollend und weich in ihrem Ausdruck, die zweitere aber hart und destruktiv. Vielleicht kann man den Begriffen auch mit der Polarität Liebe und Macht näher kommen. Sowohl mit Ki als auch mit Magie ist es nicht unmöglich, sich von den Möglichkeiten zur Macht verführen zu lassen, aber das wirkt verdunkelnd. Das Vermögen, das man erhält, soll man von sich werfen, denn verglichen mit dem guten Geist, den man um sich verbreiten kann, hat es keinen Wert.
Die westliche parapsychologische Forschung spricht heute oft von psi. Es handelt sich dabei um einen zusammenfassenden Namen für Kräfte, die man nicht erklären kann – Telepathie, Psychokinese und so weiter. Wenn diesen Phänomenen Realität zukommt, so muss eine Art Kraft oder Vermögen hinter ihnen liegen, so nimmt man an, und es ist einleuchtend, dass man sich da dem östlichen Begriff Ki nähert. Es gibt eine weitere Parallele zu Ki. Die Forscher, die mit parapsychologischen Experimenten arbeiten, sind sich ziemlich klar darüber, wie man die besten Resultate erhält: wenn die Versuchsperson entspannt, vertrauensvoll ist und sich nicht bemüht, Erfolg zu haben.
In Asien ist Ki (Qi) jedoch so etabliert, dass es schon Welten von Entwicklung und Anwendung umfasst. Zum Beispiel arbeitet die traditionelle Medizin und Massage hauptsächlich mit dem Ki-Fluss und wie dieser durch den Körper des Patienten verläuft. Bei der Massage ist es das Ki des Masseurs, das das Ki des Patienten stimuliert, die rein anatomische Behandlung ist von untergeordneter Bedeutung, und bei der Akupunktur sind es die Ki-Flusspunkte des Patienten, die stimuliert werden. Allgemein ist Ki ein derart etablierter Begriff in Asien, dass er selten die metaphysische Bedeutung bekommt, die ihm in der westlichen Betrachtung sofort verliehen wird.
So gilt zum Beispiel im Aikido das Ki und die Stimulierung des Ki-Flusses nicht an sich als Hauptsache im Training. Als wichtiger Teil, gewiss, aber meist in der selben Weise, wie man Benzin braucht, damit ein Auto rollen kann oder wie Essen und Trinken einen Menschen handlungsfähig machen. Sicher ist die Qualität des Brennstoffs bedeutend für das Resultat – aber er ist nicht mit dem Resultat identisch. Das was man mit Ki zustandebringen kann, ist das Interessante – und die große Herausforderung.
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