Die erste Silbe im Wort Aikido lässt sich am leichtesten mit der chinesischen Schrift zeichnen, die die Japaner Kanji nennen, aber es ist bei weitem nicht genauso leicht, seine Bedeutung zu übersetzen. Wir pflegen zu sagen, dass ai (auf chinesisch hé) Harmonie bedeutet, aber dieses Wort wird von keinem Wörterbuch verwendet. Streng sprachlich ist es richtiger, von „Vereinigung“, „Übereinstimmung“ oder „Einigkeit“ zu sprechen. Das Wort wird auch bei gewissen Maßangaben verwendet. Das Schriftzeichen stellt einen Mund, die Ziffer eins und darüber ein Hausdach dar, was man so deuten kann, dass unter diesem Dach alle wie mit einem Mund sprechen. Der Begriff Einigkeit scheint am nächsten zu liegen.
Das Schriftzeichen für ai, Harmonie oder eher Einigkeit.Kalligraphie des Autors.
In der Kombination, die das zusammengesetzte Wort Aikido bildet, ist jedoch die gewöhnlichste Übersetzung von Ai Harmonie, um auf eine Einigkeit hinzuweisen, die nicht nur die Abwesenheit von Uneinigkeit ist, sondern so tief und selbstverständlich, dass sie wie ein eigener angenehmer Zustand geworden ist, eine friedlich wirkende Kraft.
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Für Morihei Ueshiba und für seine Nachfolger ist Aikido keinesfalls ein Weg zum Sieg im Kampf, und auch nicht nur ein Weg vom Kampf. Dabei handelt es sich, trotz ihrer offensichtlichen Verdienste, letztlich doch nur um Negationen. Hier darf man nicht stehen bleiben. Der Mangel an etwas kann nicht so lebenskräftig sein wie die Fülle von etwas anderem. Eine Welt ohne Krieg wäre kein dauerhafter Segen, bevor nicht alle fühlen könnten, dass der Frieden etwas Selbständiges, Zuverlässiges ist, welches die Zivilisation durchdringt. Frieden muss mehr sein als nur der Stillstand zwischen zwei Kriegen, Einigkeit muss mehr sein als nur die Ruhe zwischen zwei Auseinandersetzungen. Deshalb das Wort Harmonie – ein schöner Zustand mit einer solchen Leuchtkraft und Anziehung, dass keiner, der ihn kennengelernt hat, solche Ruhe jemals abbrechen will. Eine Einigkeit, die angenehmer ist als ein Streit erlösend sein kann, ein Frieden, der wonniger ist als ein Krieg erschreckend sein kann. Der gute Zustand muss so überwältigend sein, dass dessen Gegensatz ausbleicht und im Vergleich nur abgestanden erscheint. Erst mit einem solchen Glanz wird ai das wichtigste Wort der drei in Aikido, erst da wird die Harmonie das Ziel unseres Übens.
Im Zen werden oft Rätsel angewendet, um den Suchenden zu satori zu führen. Diese nennt man koan und wirken auf den ersten Blick wie unmögliche Paradoxe. Das bekannteste der vielen Zen-Koans ist dieses: wie klingt das Klatschen einer Hand? Mehr als einmal ist es mir passiert, wenn ich das Rätsel einem Neugierigen gegenüber erwähnt habe, dass dieser als Antwort mit seiner Hand auf eine Weise gewedelt hat, dass diese faktisch selbst geklatscht hat – die Fingerspitzen schlagen gegen die Handfläche. Einige sind richtig gut darin. Ihre Antwort ist natürlich völlig korrekt. Auch der Unbeholfene kann die „richtige“ Antwort geben, indem er die eine Hand in der Luft bewegt, wie man das bei einem Applaus macht, die andere Hand aber ruhen lässt, und sagt: „So!“
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Das Wort Ai in Aikido ist auch etwas wie ein Koan, ein paradoxes Rätsel, das man unmöglich ausschließlich mit Worten lösen kann. Man kann es machen wie mit dem Klatschen der Hand – mit Bewegung und Handlung zeigen und sagen: „So!“ Die große, wonnige Harmonie ist keine These, die man in Büchern niederzeichnen kann, sie ist eine innerliche Handlung, eine Lösung im Moment und in der exakten Situation.
In Aikido steht man niemals an einem Platz, wenn der Angriff kommt, sondern man bewegt sich zur Seite. Wenn man auf den Zuggleisen geht und ein Zug gefahren kommt, geht man natürlich von den Gleisen herunter. Etwas anderes wäre verheerend. Das ist so klar wie das Klatschen mit der Hand. Warum zusammenstoßen? Warum im Weg stehen angesichts einer Kraft, die so deutlich ihre Richtung anzeigt? Ai bedeutet, immer vom Gleis herabsteigen, niemals stehenzubleiben oder der Kraft zu trotzen – auch wenn man die Kraft hätte sich dagegen zu stellen. Auch den kleinen Märklinzug einer Modelleisenbahn lässt man passieren. Man steigt nicht deshalb von den Gleisen herab, weil man den Zug nicht zu stoppen vermag, sondern weil man ihn nicht zu stoppen wünscht. Die Harmonie des Aikido ist, den Zug mit Freude vorbeifahren zu lassen und ihn in der Ferne verschwinden zu sehen. Und da steht man, winkend.
Das kann zunächst lauten wie das Prinzip der Passivität, wie eine Methode, um Schaden zu vermeiden, indem man allem gegenüber aufgibt. So ist das keinesfalls. Man hält keine Bewegung auf, man wehrt sich nicht gegen eine Kraft – aber man beugt sich ihr auch nicht, man fügt sich ihr nicht. Man vermeidet den Konflikt so, dass auch der sich im Konflikt befindende Wille nicht mit Erfolg gekrönt wird. Wenn die Absicht des Zuges also war, mit der Person auf dem Gleis zusammenzustoßen, so wurde die Absicht in nichts verwandelt. Keine Kollision, keine Unterwerfung. Wenn der Zug verschwunden ist, klettert man wieder zurück aufs Gleis und macht weiter wie zuvor.
Das meiste des Elends und der Schmerzen auf der Welt scheint darauf zurückzugehen, dass Willen sich im Konflikt befinden – einer will haben, was ein andere nicht hergeben will, einer will stehen, wo ein anderer sich befindet, und so weiter. Und doch ist die Welt groß und reich genug für alle. Wir müssten in der Lage sein, volle, schöne Leben zu leben, ohne einander zu bestehlen. Im Aikido ist das eine selbstverständliche Überzeugung. Harmonie ist der höchste natürliche Zustand, jeder, der gegen ihn verstößt, muss misslingen. Wer bereit ist, für seine Interessen zu streiten, kann weder das realisieren, wonach er strebt, noch kann er einen Streit beginnen. Wenn er einen anderen Menschen wegdrängen will, wird er nur zurück zu seinem eigenen Platz geführt, wenn er versucht, andere zu etwas zu zwingen, so entschlüpft dieser ihm, so dass er nur mit leeren Armen weiterstolpert. Seine Kraft schlägt zurück auf ihn selbst und er wird jedes Mal zum Ausgangspunkt zurückgeführt.
Mikael Eriksson, c. 1973.
Wenn Aikido nicht genau auf diese Weise wirken würde, würde es zu Streit und Uneinigkeit ermuntern anstatt dazu zu führen, dass diese abgeschafft wird. Die Harmonie, die nicht alle einschließt, zeigt früher oder später, dass sie keinen einschließt. Die Streit suchen, befinden sich in einem Zustand von Verwirrung, von Fehlauffassung. Aber sie können weder auf den richtigen Weg geführt werden, indem man sie unterwirft, noch indem man ihnen ihren verwirrten Willen lässt. Die Harmonie des Aikido soll so schön sein, dass es sie auf den rechten Kurs führt, dass es ihre Augen aufgrund seiner Selbstverständlichkeit öffnet. Da ist der Friede nicht nur ein Moment von unruhigem Warten zwischen einem Krieg und dem nächsten, sondern eine Majestät, die weder zur Herausforderung einlädt noch von irgendeinem Heerführer gestürzt wird.
Für Morihei Ueshiba war diese großartige Harmonie so zentral und so wunderbar, dass er sie im Alter immer öfter mit einem gleichlautenden Wort der japanischen Sprache verglich: ai kann man mit einem anderen Zeichen schreiben, und da bedeutet es Liebe. Die Harmonie in Aikido soll so universell, so innerlich sein, dass sie in Liebe aufgeht.
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