Auch wenn wir nicht mit der selben spektakulären Entwicklung prahlen können wie Morihei Ueshiba, so meine ich doch, bei jedem Aikidoka, Aikidoausübenden, Tendenzen der selben Veredlung zu sehen. Wir machen in unserem Aikido Stadien durch, sicher jeder von uns mit untschiedlicher Geschwindigkeit und unterschiedlicher Amplitude, aber ohne auch nur eine von ihnen überspringen zu können. Wie friedlich auch der Neuanfänger glaubt zu sein, so will er doch durch die Techniken des Aikido Kraft und Können zeigen. Er will weit und schnell werfen, den größten Gegner zu Fall bringen, und die Kraft des Angreifers mit seiner eigenen überbieten. Das ist natürlich überhaupt nicht Aikido, aber ich zweifle, dass man an dieser Phase vorübergehen kann.
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Die Kraft, von der der Anfänger keinen Abstand nehmen kann, ist natürlich die selbe wie die des Angreifers. Die Techniken des Aikido sind bis dahin Kniffe, mit denen die Kraft des Verteidigers Überlegenheit erlangt. Aikido ist für ihn wie eine Waffe, eine technische Überlegenheit, die er mit ungefähr derselben Haltung des Aufstands gegen die Ordnung der Natur – vage maskiert hinter der Ethik der Selbstverteidigung – ausführt, die auch der Angreifer zeigt. Auf diesem Niveau muss jeder Wettkampfsport mit Sicherheit stagnieren. Der Anfallende und der Verteidiger tun in allem genau dasselbe.
Auf der nächsten Stufe gleiten die zwei auseinander. Das geschieht, wenn unser Aikidoka so lang in seinem Vermögen geschwelgt hat, dass er nicht länger Stolz darauf empfinden kann. Der Zeitraum, den es benötigt, um dahin zu kommen, unterscheidet sich bedeutend von Mensch zu Mensch, und es zeigt sich, dass dessen Länge überhaupt nichts mit dem Lippenbekenntnis zu tun hat. Bemerkenswert ist meiner Erfahrung nach, dass genau die, die sich am wärmsten für Weichheit und Folgsamkeit aussprechen, am längsten damit warten, dieses Ideal von ihren Bewegungen illustrieren zu lassen. Sie sehen vielmehr ihre Worte als Alibi oder wie eine Kosmetik dafür, wie sie faktisch ihr Aikido ausführen, so als würde das Wort so vollständig über die Wirklichkeit herrschen, dass es sie verwandeln könnte. Was George Orwell in seinem Roman „1984“ Neusprache nannte ist Alltagskost in den meisten Mündern. Wenn wir wiederholt Freiheit Unfreiheit nennen, hören wir wir vielleicht auf, uns danach zu sehnen. Wenn man das Harte weich und das Aggressive friedlich nennt – da wird es vielleicht am Ende wahr.
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Nichts da. Die einzigen Augen, die sich betrügen lassen sind die derer, deren Münder eine solche Neusprache sprechen – wenn überhaupt. Nein, wirkliche Weichheit und Folgsamkeit sind offensichtlich für jedes Auge und noch deutlicher erkennbar für den Angreifer. Die, welche noch im Vorweisen von Stärke festsitzen, können gewiss Bewegungen haben, die so folgsam und fließend sind wie die des wirklich Weichen, aber sie geraten stärker mit dem Partner aneinander und sie fühlen in ihrer Brust, dass sie getrotzt, niedergeworfen haben. Wirklich folgsames Aikido wird nicht eine Zentrifuge, in die der Angreifende gesteckt wird, sondern ein frischer Wind, der ihn umgibt und seine Bewegung diskret zu einem harmlosen Schluss führt. Ein Schluss, da keiner niedergeworfen oder bestraft wurde.
Man kann das mit den Elementen der Natur vergleichen. Der Anfänger ist in erster Linie wie Stein – unbeweglich, angespannt, kantig. Dann Holz – nachgiebig, weich werdend, wenn auch immer noch so gut wie unbeweglich. Wenn der Anfänger endlich den panischen Griff der Füße am Boden verliert und sich frei im Raum bewegen kann, wenn er seine Techniken genau durch das Momentum ausführen kann, das die freie Beweglichkeit gewährt – da ist er wie Wasser geworden.
Große Befriedigung enspringt aus diesem Stadium, ebenso imponierendes Vermögen. Die Techniken fließen, Angreifer fallen wie Kegel, gleichwie ob sie einer nach dem anderen oder mehrere gleichzeitig kommen. Man kann sein Aikido über lange Zeit hinweg ausführen, ohne die Kontrolle zu verlieren oder in seiner Energie zu ermatten. Deshalb ist es leicht, in diesem Stadium zu verbleiben und zu glauben, dass man das Ziel erreicht hat. Man trainiert nicht länger, um das Unvollendete von sich zu werfen und sich von Grund auf zu erneuern, sondern nur um die Fähigkeiten, die man erreicht hat, zu putzen und zu feilen. Aber das Wasser ist nicht das Weichste, nicht das Folgsamste. Der jämmerlichste Bach bohrt sich durch Berge, Wellen werfen große Schiffe herum, sogar der Regen schlägt manchmal hart zu und treibt Menschen in die Flucht. Die Kraft des Wassers ist groß, aber seine Folgsamkeit ist gering. Das ist nicht genug für Aikido.
Das demütigste der Elemente ist die Luft, die selbstverständlich Platz für alle anderen macht. Die Luft umfängt, ohne zuerst zu knuffen, sie fügt sich, ohne sich zuerst zu sperren. Wo das Wasser vom ersten Augenblick seine Widerspenstigkeit offenbart, ist die Kraft der Luft eine, die nur mit unserer eigenen Geschwindigkeit zunimmt. Erst wenn wir ihr trotzen, wird ihr Wesen deutlich für uns, und nur bis zu dem Grad, den wir selbst wählen. Natürlich kann der Wind sowohl Menschen als auch ganze Häuser niederreißen, aber er verfolgt nicht, er weht vorbei und schont das, was sich beugt. Das Wasser ist nicht so schonend wenn es über uns spült. Wären wir Fische, so wäre das Verhältnis natürlich anders, aber da das nicht unsere Natur ist, tun wir gut daran, uns mehr wie Luft zu verhalten.
Lennart Larsson und Lennart Inedahl. Foto: Magnus Hartman.
In Aikido bedeutet das eine Weichheit ohne darunter liegende Drohung oder Trotz, eine Folgsamkeit nach den Bedingungen des Angreifers, in Einheit mit dem Angriff, so dass der Partner keiner anderen Kraft hinter den Bewegungen gewahr wird als seiner eigenen. Derjenige, den er angreift, steht ihm nicht im Weg, übernimmt nicht das Kommando, drückt ihn nicht nieder. Nein, statt dessen wird ihm zu einem derartigen Schwung in seiner Bewegung verholfen, dass diese aus reiner Begeisterung weitergeht und woanders landet als sie zunächst beabsichtigte.
Wenn Aikido wie Luft wird, ist es nur die Kraft des Angreifers, die auszumachen ist. Die Techniken können so dicht sein, dass sie einen ganzen Dojo (Trainingsraum) füllen, so über wältigend großartig, dass die Wände beben – aber sie beinhalten nichts Unterwerfendes. Sie lassen die Kraft des Partners frei anstelle sie zu dämpfen.
Der wilde Tanz der daraus folgt, würde unbestreitbar als ehrwürdiges Ziel für Aikido gelten, der Aikidoka, der so weit gekommen ist, ist begeisternd. Wie sind damit auch durch sämtliche drei Aggregatszustände gegangen, die über alle Stoffe der Natur herrschen: von der festen Form zum Fließenden zum Gas. Aber es gibt mehr. Sogar Luft leistet – wenn auch sehr diskret – einen gewissen Widerstand. Sie bezwingt auch, hat auch eine Oberfläche und kann diesem Umstand nicht entgehen. Wenn es auch schwer ist, so ist es doch möglich, in der Luft einen Feind zu sehen, ein Ziel für Aggressionen. Man kann an und für sich nicht über die Luft siegen, sie schlagen oder bezwingen, aber man kann ihrer Identität gewahr werden und sie damit herausfordern. Wenn Aikido den Streit unmöglich machen soll, wenn es die Agression selbst zunichte machen soll, ist die Luft keine Antwort. Was ist da das nächste?
Vakuum. Leerer Raum hat keinen Körper, keinerlei Substanz. Trotzdem ist keine Kraft groß genug, es zu bezwingen, kein Feuer, es zu verbrennen, keine Macht, es zu bedrohen, kein Raum ist so groß, dass es ihn nicht füllen könnte, oder so klein, dass es keinen Platz darin fände. Die Leere ist das einzig Unverwundbare, und es gibt sie überall – zwischen den Himmelskörpern im Makrokosmos und zwischen den Atomen im Mikrokosmos.
Obwohl sie nicht den geringsten Willen ausübt, ist sie unmittelbar verheerend für den, der ihr trotzt. Wären die Astronauten nicht ordentlich eingekapselt, würde das Leben sofort aus ihnen gerissen. Der leere Raum ist so vollständig offen, so grenzenlos nachgiebig, dass alles Lebende in ihm vergeht. Es ist nicht nur so, dass ein Angriff völlig fruchtlos ist, ja, jedes Ziel vermisst. Er vermisst allgemein die Substanz, die es benötigt, um den Willen beizubehalten. Überhaupt einen Gedanken zu denken ist schwer, und alles was man braucht damit der Gedanke völlig verschwindet, ist sich eben der Leere des Raums zu entsinnen. Das reißt die Kraft aus jedem Kampf, kühlt unmittelbar die heißeste Wut.
Endo sensei. Foto: Magnus Hartman
Wenn Aikido wie leerer Raum wird, verliert der Angreifer unmittelbar all seine Kraft, ebenso deutlich und plötzlich als würden ihm die Beine unter dem Körper weggeschlagen. Der Angriff muss ein Ziel haben – worauf soll er sonst zielen? Die Leere kann kein Ziel sein, deshalb verliert der Angreifer seine Kraft in eben dem Moment, da er versucht, sie gegen dieses Nichts zu richten. Der die Leere beherrscht, braucht dem Partner nur sein Vakuum zu zeigen, damit dieser völlig kraftlos zusammenfällt. Die weggleitenden Techniken sind verschwunden, an deren Stelle öffnet sich ein unendliches Nichts. Der Angriff stirbt im selben Augenblick da er eingeleitet wird.
Wenn man sein Vakuum im selben Moment zeigt, da der Angreifer für den Angriff ansetzt, wird dieser seine Festigkeit und seine Fahrt verlieren wie Laub im Wind. Wenn man ständig offen ist und sein Vakuum zeigt, wird es unmöglich für andere, auch nur an Angriff zu denken.
Die Leere ist kein Trick, sie kann nicht von jemandem gelernt werden, der wünscht, den optimalen Selbstverteidungsgriff zu beherrschen. Gegen die Leere ist keiner gefeit – auch nicht, wenn er sich in sie einfühlt. Sie muss mit ganzem Herzen realisiert werden, man muss sich ihr vollständig hingeben und darf deshalb nicht einmal in sich selbst, in seinem Wesen, etwas fühlen, das Substanz hat und der Verteidigung wert wäre. Leere ist, sich selbst völlig rückhaltlos zu vergießen, sich aufzugeben, so wie vor dem Tod. Nur wenn man selbst fühlt, dass man keinen Körper ausmacht, keine Substanz, die anderen Kräften ausgesetzt werden könnte, wird diese Erfahrung auch zu der des Angreifers. Wer sich selbst für die Leere aufgegeben hat und Vakuum geworden ist, kann selbst nicht länger sehen, was in ihm selbst einem Angriff ausgesetzt werden könnte. Deshalb kann auch kein anderer das sehen.
Das Aikido der Leere hat natürlich nichts mit Techniken und Bewegungsmustern zu tun. Der Betrachter kann nicht begreifen was geschieht, wenn es ausgeübt wird, der Angreifer kann es zwar erleben – aber nur als etwas, das ausschließlich in ihm selbst geschieht. Er verliert die Kontrolle wie einer, der in Ohnmacht fällt, büßt seine Kraft ein wie nach harter Arbeit auf fastenden Magen, vergisst seine Intention wie einer, der nach einem Tagtraum zu sich kommt.
Wenn der Angreifer das Gefühl hat, dass die Person, die er vor sich hat, das fertiggebracht hat, so ist die Leere nicht vollständig. Der Anfallende soll keinesfalls eines anderen Willens gewahr werden als seines eigenen, er soll keine anderen Erklärung zu seinem Fiasko finden als die eigene Unzulänglichkeit. Die Umgebung kann nichts anderes glauben als dass ein solches Aikido abgesprochen ist, dass der Angreifer den Angriff nur fingiert und sich dann selbst zu Boden wirft. Der Angreifer soll das selbst nicht auf andere Weise erklären können. Im Aikido der Leere ist der Aikidoka unsichtbar geworden, nicht vorhanden. Es ist nur der Partner, in welchem und um welchen herum sich alles bewegt. Selbstverteidigung ist nicht länger Bestandteil in diesem Aikido, Drohung und Gewalt schmelzen fort. Erst in diesem Stadium kann man hoffen einen Frieden zu erreichen, der währt und der sich außerhalb des eigenen Sinnes erstreckt, hin zu der ach so schwer zu zügelnden Umgebung.
Vielleicht kommt danach eine andere Art Aikido – wer weiß? Auch wenn man es sich schwer vorstellen kann, darf man das nicht als Argument nehmen um sich in seiner Suche zur Ruhe zu setzen. In dem Augenblick, da man das Ziel erreicht zu haben glaubt, wird man unweigerlich seine Tore schließen, versteinern und verdorren. Auch die Leere muss man von sich werfen, aufgeben. Anders ist es unmöglich herauszufinden, ob auf der anderen Seite davon etwas liegt.
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