Das Aikidotraining selbst ist denkbar klar in seiner Form. Einer greift an und einer verteidigt sich – der erste mit einem Griff, einem Schlag oder einer der vielen Waffen der Kampfkünste, der zweite mit den weggleitenden Aikidobewegungen.
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Die Angriffstechniken sind kein Aikido. Sie können von den anderen Kampfkünsten entliehen sein, oder ganz einfach ein Griff oder Schlag, welcher überhaupt nicht zu einer Kunst entwickelt wurde. Es ist nur die Verteidigung, die Aikdio ist. Diese Verteidigung darf auch nicht im geringsten aggressiv ausgeführt werden, etwa um den Gegner zu unterwerfen und als Sieger dazustehen. Wenn es einen Sieger gibt, so sagt das Aikido, so gibt es in Wirklichkeit zwei Verlierer. Die Techniken des Aikido sollen gekennzeichnet sein von unendlicher Folgsamkeit, sie führen die angreifende Kraft sanft an seinem Ziel vorbei und in Bogen auf einen harmlosen Schluss zu, in dem keiner Schaden nimmt. Sie sollen in einem friedvollen Geist ausgeführt werden, so als hätte ein Streit nie stattgefunden, und sollen sowohl den Angegriffenen als auch den Angreifenden vor Schaden bewahren.
Das Ideal ist nah, wenn ein außenstehender Beobachter sicher ist, dass der Verlauf zwischen Angreifer und Verteidiger abgesprochen ist, wenn es für ihn wie Mogelei aussieht. Idealerweise soll der Angreifer im Verlauf der Bewegung nie etwas anderes denken, als dass sie so verläuft wie gewünscht und beabsichtigt, dass das, was geschieht genau das ist, worauf der Angriff von Anfang an hinzielte.
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Eine gute Weise, Aikido zu beschreiben ist zu sagen, dass man nicht versucht, einen Angriff abzuwenden, sondern ihm zu seiner Vollendung zu verhelfen. Derjenige, welcher Aikido nicht trainiert, um seine eigenen Bewegungen beherrschen zu lernen, sondern als eine Möglichkeit, dem Anfallenden zur Vollendung seiner eigenen Bewegungen zu verhelfen, hat sicher eine große Anmut in seiner Ausführung. So gesehen ist es völlig einleuchtend, dass man in Aikido von Partnern, nicht von Gegnern spricht. Aikido soll beiden Übenden genauso behilflich sein.
Ebenso hat in einem solchen Ideal der Wettkampf keinen Platz. Ein Wettkampf setzt voraus, dass des einen Vorteil des anderen Nachteil ist, dass zwei Personen nicht gleichviel Gewinn haben oder das gleiche Ziel erreichen können. Statt dessen versuchen die Gegner in einem Wettkampf, den Gegener so schwach und plump wie möglich zu machen. Eine solche Einstellung vergrößert Konflikte anstatt sie zu lösen, härtet die Ausführenden anstatt sie weicher zu machen. Und die Grenze für die Entwicklung eines Menschen wird auf diese Weise ganz und gar vom Vermögen seines Gegners bestimmt. Für Aikido ist diese Grenze viel zu eng. Wenn beide Übende stattdessen zusammenarbeiten, können sie einander helfen und sich weit über die Grenzen dessen hinaus entwickeln, was ihre Voraussetzungen zu sein schienen.
Jan Nevelius und Jorma Lyly, 1998. Foto: Jöran Fagerlund.
Man wechselt sich ab. Zuerst greift der eine an, dann der andere. Ein korrekter Angriff setzt große Energie und Kraftansammlung voraus, die Verteidigung kann dagegen in entspanntem Zustand und in Folgsamkeit vor sich gehen. Der gerade, unbeugsame Angriff trifft auf eine ausweichende Verteidigung. Die gerade Linie des Angriffs wird in einen Bogen geführt, der genau dort aufhört, wo der Angreifende begonnen hat. Die Kraft kehrt zu ihrem Ursprung zurück und gar nichts ist geschehen. Gut ausgeführt wird die Bewegung in keiner Weise ein Kampf, sondern ein Tanz. Ein weicher Tanz ohne Kollisionen, ohne das Messen von Kraft.
Ebenso ist es wichtig im Aikido, die Techniken nicht als Konter, als Reaktionen auf plötzliche Angriffe zu sehen. Die Techniken sind Bögen und Spiralen, die sich ständig im Trainierenden bewegen – und im Raum der ihn umgibt. Das ist ungefähr das selbe wie der Tanz, der sich in der Melodie und im Rhythmus der Musik verbirgt. Was der Angreifende macht, ist ganz einfach eine Aufforderung zum Tanz.
Die Bewegungen kommen völlig natürlich aus der ständigen Gegenwart dieser Musik und dem einleitenden Schritt des Partners.
Die Musik des Aikido ist der Fluss von Energie, eine Bewegung, die ständig in unserem lebenden Kosmos vorhanden ist. Wenn es die Bewegung nicht gäbe, würde es kein Leben geben. Leben ist Bewegung, Existenz ist Bewegung. Aikido öffnet sich für die ständige Beweglichkeit des Daseins und macht sie sich zu eigen. Die Techniken sollen so natürlich sein wie die fundamentale Bewegung der Natur.
Diese Bewegung ist harmonisch. Gewaltige Himmelskörper kreisen elliptisch umeinander, Atome vibrieren in einem unbegreiflichen Leerraum, Hunderte von Tierarten bewegen sich unablässig umeinander im kleinsten Gehölz. Natürlich kommt es vor, dass sie zusammenstoßen, mit oder ohne Absicht, aber jeden Teil der Natur kennzeichnet vor allem eine Balance, eine reibungsfreie Ordnung zwischen allen Dingen. Das auf den ersten Blick zufällig wirkende Muster aller kleinen Bewegungen strebt ständig nach Frieden und Ruhe, wie eng die Ansammlung auch ist.
Alles bewegt sich, immer. Deshalb gibt es niemanden der anfängt, und auch niemanden, der aufhört. Der Wirbel der Bewegungen ist unabgeschlossen, ständig und überall fließend. Im Aikidotraining kommt es nur dazu, dass zwei Personen das ab und zu sichtbar machen. Es kann keinen Gewinner oder Verlierer geben, nicht einmal einen Initiator, in diesem Kontinuum! Was vor sich geht ist lediglich, dass der Angreifer versucht hat, sich gegen die natürliche, harmonische Beweglichkeit aufzulehnen, und deshalb mild zu ihr zurückgeführt wird. Konflikt zu suchen heißt sich in der Bewegung der Natur zu verirren – das ist nur möglich, wenn man aus dem Gleis seiner eigenen natürlichen Bewegung ausgespurt ist. Die Techniken des Aikido haben kein anderes Ziel als den Verirrten zurück auf sein eigenes Gleis zu führen.
Morihei Ueshiba. Foto: Yasuo Kobayashi.
Aikidotechniken werden dann richtig ausgeführt, wenn es in dem Geist geschieht, dass sie bereits ausgeführt wurden. Weil es sich nur darum handelt, den Partner zurück zum natürlichen Zustand zu führen, gibt es nur zwei Punkte: zuvor, als alles so war, wie es sein sollte, und danach, da alles wieder so ist wie es sein soll. So als reichte man jemandem seine Hand, der strauchelt, oder als weckte man jemanden der eingenickt ist. Wenn die Bewegung beginnt, ist sie schon ausgeführt. Es gibt verständlicherweise keine Möglichkeit sie abzubrechen.
Die natürliche Bewegung ist allumfassend und allmächtig. Gegen sie zu verstoßen, beispielsweise in einem Angriff, ist deshalb unendlich anstrengend. Aber den Angriff zurück zur Harmonie zu führen ist nur erholsam. Wer einen harmonischen Menschen angreift, versucht, die Ordnung der Natur zu stürzen, und das kann nicht glücken. Die Person, die den Angriff abwendet und die Balance bei seinem Angreifer wieder herstellt, tut nichts anderes als den Naturgesetzen zu folgen und kann deshalb nicht scheitern. Es gilt nur, das zu erkennen, und dann, es zu leben.
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