Die östlichen Kampfkünste haben eine Aura um sich, die nicht in allen Teilen sympathisch und auch nicht erstrebenswert ist. Schon als der gewaltige Oddjob im James Bond-Film Goldfinger Möbeleinrichtungen mit „Karateschlägen“ zertrümmerte, setzte das Ganze in Gang – oder vielleicht noch früher, mit Viking Cronholms Buch „Jiu-jitsutricks: das japanische System für Selbstverteidigung“, das am Anfang des 20.Jahrhunderts herausgegeben wurde. Wie es immer mit dem Unbekannten ist: die Gerüchte um dem geheimnisvollen Trick, der einen kleinen Mann befähigt, einen großen Kerl zu Fall zu bringen, bekamen gewaltigen Aufwind. Seit man im Westen Budoarten trainiert, sind sie immer auch ein Anziehungspunkt für temperamentvolle Personen gewesen, die lernen wollten, wie man sich prügelt. Das ist nicht die meist wünschenswerte Personengruppe.
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Aikido ist bis jetzt angenehm verschont geblieben von solchen Gerüchten und solcher Art des Zulaufs. Wenn grimmige Menschen einem in entspanntem und freundschaftlichem Geist durchgeführten Aikidotraining zuschauen, verlieren sie das Interesse und suchen andere Sportarten auf. Meist haben sie nicht einmal Geduld, während der Aufwärmübungen sitzen zu bleiben. Sie gehen, bevor das eigentliche Aikidotraining beginnt.
Eigentlich erst in den späten 80er Jahren des 20.Jahrhunderts, mit Steven Seagal und seinen gewaltsamen Abenteuerfilmen, nahm Aikido Eintritt in die Welt der weißen Leinwand und der Prügelei. Dazu muss man sich ziemlich bedenklich verhalten. Seagals Aikidovorführungen im Abenteuerfilm haben nicht viel gemeinsam mit dem Geist und dem Ideal des Aikido.
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Nunja, sonst ist Aikido mehr als eine Form von graziöser Gymnastik bekannt denn als Selbstverteidigung und Kampfkunst. Sicher ist das geruhsam für den Ruf des Aikido, aber auch ein wenig irreführend. Aikido ist, für den der das wissen will, eine höchst effektive Selbstverteidigung. Anders wären seine Prinzipien fehlerhaft, seine Bewegungen falsch ausgerichtet, und das ganze Training nur ein massiver Selbstbetrug.
Das Charmante am Aikido ist, dass die, welche es trainieren, kein besonders großes Vertrauen in Aikido als Selbstverteidigung haben. Statt dessen stellen sie fest, wie schwer es ist, wie unzureichend ihr eigenes Vermögen ist, und sie können sich nicht vorstellen, dass sie bei einer wirklichen Bedrohung eine Aikidotechnik ausführen könnten. Diejenigen, welche in solchen Situationen landeten, berichten dagegen mit aufrichtiger Verwunderung, wie sie sich reflexmäßig mit der und der Aikidotechnik verteidigten, und wie verdutzt sie waren, als diese ganz ausgezeichnet funktionierte.
Ulf Evenås und Morihiro Saito, Iwama. Foto: Jöran Fagerlund.
Generell ist es faktisch so mit Aikido, dass die Techniken bedeutend leichter an einem unvorbereiteten Partner als an den Trainingspartnern im Dojo durchzuführen sind. Die letzteren sind ja vorbereitet auf das, was geschehen wird und haben gelernt zu widerstehen. Aber Aikido ist so konstruiert, dass es den geschicktesten Gegner neutralisiert, und das selbe gilt für die Kampfkünste, aus denen Aikido sich entwickelt hat. Wenn diese Techniken und Methoden nicht funktioniert hätten, hätte man sie schon lange vergessen. Man kann also zu einem gewissen Grad sagen, dass sich das traditionelle Budo ungefähr nach dem darwinistischen Prinzip der natürlichen Auswahl herausgebildet hat. Die Ausüber unterlegener Disziplinen überlebten ganz einfach nicht.
Wenn die Bewohner des Westens sich beeilen, die alten Budoarten zu rationalisieren und zu verändern, vergessen sie die lange Entwicklung. Wie soll ein einzelner Mensch klüger sein als die Erfahrung von unzähligen Menschen im Lauf der Jahrhunderte? Es ist also klar, dass Aikido funktioniert.
Und trotzdem tut Aikido als Selbstverteidigung vor allem im Verborgenen Nutzen. Lang bevor der Trainierende das Gefühl hat, dass seine Techniken ausgefeilt sind, hat er schon eine deutlich bessere Balance und Standfestigkeit gewonnen als zu Beginn seines Trainings, er ist reaktionsschneller geworden und hat gelernt, seine körperlichen und mentalen Ressourcen effektiver auszunutzen. Solches Können ist nicht offenbar, aber trotzdem äußerst wirklich und bedeutungsvoll.
Wenn Raubtiermännchen sich miteinander um ein Weibchen oder um ein Revier schlagen, kommt es selten vor, dass sie einander ernsthaft Schaden zufügen. Sie kennen ihre Ressourcen und wissen, wann sie aufhören müssen. Tauben hingegen haben nicht die selbe Beherrschung. Sie können einander gut aufgrund der trivialsten Uneinigkeit tothacken, weil sie ihre Kraft nicht kennen. Diejenigen welche eine Budoart trainieren, werden in der Regel aus dem selben Grund friedfertig. Sie wissen die Kraft und die Wirkungen der Gewalt zu respektieren und wollen nichts mehr, als diese zu verhindern. Sogar Heißsporne werden gewöhnlich durch das Training und das Können, das sie dadurch gewinnen, bedeutend abgekühlt.
Das Wesen des Aikido ist Frieden und Wohlwollen, damit wird es schwer für den Lernenden, einen kriegerischen Sinn zu bewahren. Mit der Entwicklung des Könnens wächst auch die Friedfertigkeit und die Abscheu vor aller Gewalt. Ich glaube auch, dass einer, der diese Entwicklung in seinem Inneren durchgemacht hat, andere selten zum Angriff ermuntert. Friedfertigkeit ist genauso ansteckend wie Aggressivität, und vielleicht – hoffentlich – noch mehr.
Als die Japaner ihre Jutsu (Technik, Methode, Kunstfertigkeit, Anm. d. Red.) zu Do machten, war dies eine der zentralen Absichten. Aus den kriegerischen Künsten der Samurais wollten sie den friedlichen Inhalt herausdestillieren. Sie sollten Wege zu einer höheren Religiosität und Reinheit werden – ihrem ursprünglichen Ziel entfernt. Japanischen Augen ist alles andere ein Greuel. Aggressivität ist vulgär, Herausforderung und Trotz sind simpel. Wer sich auf eine wahre Kampfkunst konzentriert, hat keinen solchen Wunsch. Er sucht den Frieden und meidet die Gewalt.
Deshalb ist Aikido als Selbstverteidigung nicht ein Mittel, um als Sieger aus einem Kampf hervorzugehen, um Herr im Haus zu werden. So etwas schlägt Wunden, die Zeit brauchen um zu heilen und tut sowohl dem Betroffenen als auch dem Verursacher weh. Aikido soll verhindern, dass ein Streit überhaupt aufkommt, ihn abwenden, auch wenn der Angriff schon eingeleitet wurde.
Sicher klingt das wie eine utopische Vision – das ist es auch. Man kommt nicht in der Kürze des Moments dorthin. Aber schon lange bevor die Entwicklung des Aikido dort angekommen ist, ist es als Selbstverteidigung milder als viele seiner Kollegen, und erweist sich damit damit faktisch nur an Effiktivität überlegen.
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